„Wir sind wir! Wir schaffen das!“

Geschichten rund um den CDU-Bundesparteitag vom 14. bis 16.11. in Karlsruhe

Im September hatte ich ja auf die kämpferische Ankündigung von Angela Merkel im Reichstag hin, dass der 27. März 2011 der Termin für die Volksabstimmung über „Stuttgart 21“ (und noch so mancherlei anderes) sein werde, eine ganzseitige Anzeige in der Süddeutschen Zeitung geschaltet.

1. Tag: Sonntag 14.11.
Diese Anzeige habe ich inzwischen in ein Plakat umwandeln lassen und bin damit am Sonntagmorgen nach Karlsruhe gefahren, natürlich per S-Bahn. Die Freunde für den Kopfbahnhof, die es ja sehr aktiv in Karlsruhe gibt, hatten keine Zeit, mich zu treffen. Das hat mir nicht viel ausgemacht bei dem Bilderbuchwetter! Ich bin also allein zunächst zum Marktplatz und zur Stadtkirche, wo mich ein ARD-Fotograf ablichtete. Anschließend war ich am Novotel, wo die CDU-Delegierten untergebracht sein sollten. Dort wurde ich vom Aufsichtspersonal begrüßt und von der Polizei zum erstenmal „personenkontrolliert“. Sie waren alle sehr freundlich und versicherten mir, dass ein Spaziergang einer einzelnen Person keine Demonstration sei und nicht angemeldet werden müsse. Außerdem wiesen sie mich darauf hin, dass in den Neuen Messehallen, wohin ich gehen wollte, heute nichts Parteitagsmäßiges stattfinden werde. Ein Mitarbeiter eines ZDF-Tams am Hotel sagte mir: „Karlsruhe ist die Hauptst
adt!“ Ich geistesgegenwärtig: „Ja von Baden! … aber von Baden-Württemberg?“ Er knickte kleinmütig ein …

Ich ließ mir den etwa 10 km langen Spaziergang nicht ausreden, sondern machte mich auf den Weg, hin und wieder bat ich Passantinnen und Passanten in den Straßen mich zu fotografieren, zuletzt vor einem großen CDU-Willkommensplakat vor den Messehallen. Fast alle Leute, die ich traf, waren mit mir und meinem Plakat der Meinung, dass der schöne gute alte Bahnhof in Stuttgart erhalten bleiben und nur erneuert werden muss, auf keinen Fall aber in einem Loch verschwinden darf. An den Messehallen überholte mich ein Polizeiauto, zwei junge Polizisten stiegen aus: „Personenkontrolle!“ Auch sie waren freundlich. Ich bin sogar durch die Drehtür in die Empfangshalle der Messe hineingekommen. Dort sprach mich sehr bald ein ebenfalls freundlicher junger Mann an. Und als ich den fragte: „Sie wollen mich jetzt sicher hinauswerfen?“ antwortete er fast beleidigt: „Ich möchte Sie nicht hinauswerfen! Ich muss Sie nur bitten, dies Foyer zu verlassen. Sie können sich gern vor der Drehtür aufhalten.“ Draußen hatte ich gute Unterhaltungen mit den unterschiedlichsten Menschen (Taxichaauffeur, Buchhändlerin, Gewerkschafter, der mich darauf aufmerksam machte, dass am Montag eine Demonstration von Arbeitern von Hoch-Tief hier sei, usw.) Von den Leuten, die wie Delegierte aussahen, hat mich niemand angesprochen, und von denen hat sich auch niemand in meine Nähe begeben, damit ich sie hätte ansprechen können. Als die Dunkelheit hereinbrach, bin ich mit Straßen- und S-Bahn heim gefahren. Viel gebracht hat es ja nicht, hab ich gedacht, aber es war auch nicht völlig sinnfrei – ich kannte die Stadt nun und fühlte mich am nächsten Tag gar nicht mehr fremd … und es war so schönes Wetter! Einfach ein schöner Tag!

2. Tag: Montag 15.11.
Ich bin um 5 Uhr aufgestanden und wieder mit der S-Bahn nach Karlsruhe gefahren. Die Bahn war ab Bruchsal sehr voll und ich bemerkte, dass viele der Mitfahrenden mehr oder weniger interessiert den Text meines Plakates lasen – gesprochen habe ich mit niemandem, aber ich habe mir überlegt, dass ich vielleicht bis zum 27.3. noch öfters S-Bahn fahren will und das Plakat zeigen. Jedenfalls haben mir die Leute in der S-Bahn Mut gemacht. Obwohl es heute leicht regnete, ging ich wieder zu Fuß zum Marktplatz. Am Sonntag hatte man mir an den Messehallen gesagt, die Kirche werde weiträumig abgesperrt, es sei nötig, dass ich möglichst früh da sei und dann schauen müsse, wo ich einen Platz fände, damit man mich sieht.

An der Kirche war wenig los. Ich bin unter den Säulen durch und wollte mit dem Plakat den Kircheninnenraum betreten. Vor der Tür standen eine junge Frau und ein junger Mann, die mir den Zutritt verwehrten – ich könne an dem Gottesdienst gern teilnehmen, aber nur ohne solch eine politische Demonstration, d.h. ohne das Plakat. Ich behauptete, dass es sich nicht um ein politisches Plakat handle, sondern wie sie ja selbst lesen könnten, würde ich den „Himmel in die Kirche tragen“ (ich habe eine der Regenbogenpostkarten zusätzlich zum Anzeigentext auf das Plakat laminieren lassen), außerdem nähme ich an, dass die Polizei hier gar kein Hausrecht habe, ich bat um jemanden vom Pfarramt. Mehrere Leute versuchten mich zu überzeugen, dass ich sicher nicht mit dem Plakat in die Kirche gelassen würde. Ich selbst nahm das auch an und versuchte eine von den Ordnungskräften davon zu überzeugen, dass sie auf das Plakat achten mögen, wenn ich in der Kirche wäre. Es dauerte ne ganze Weile, bis ein „gestandener Mann“ heraustrat und sich als der „Pfarrer der Stadtkirche“ vorstellte, er habe hier das Hausrecht, ich möge bitte vor die Säulen, die schon zur Kirche gehören würden, zurücktreten. Und mit dem Plakat käme ich schon gar nicht herein. Zum erstenmal gab es einen Ton, der meinen Widerspruchsgeist hervorrief und ich sagte was von „demokratisch“ und „autoritär“. Aber ich ließ mich natürlich auf keinen ernsthaften Streit ein, sondern fragte erneut die Ordnungskräfte, ob sie mein Plakat hüten würden. Ein wenig verlegen sagte der junge Mann: „Ehrlich gesagt, ist das ja Ihre Aufgabe, auf Ihr Plakat aufzupassen.“ Recht hat er, dachte ich, dann brauche ich ja gar nicht in diesen gott- und himmellosen Ort einzutreten, sondern schaue draußen weiter, was so passiert. Es gab ne Menge Polizisten, auch der ARD-Fotograf vom Sonntag war da und fragte: „Na wieder allein?“ Ich bestätigte das.

Irgendwann aber kamen sie alle in ihren Limousinen vorgefahren, der nun viel besser verdienende Roland Koch aus Hessen, der abgehalfterte Rüttgers aus NRW. Dann dachte ich und sagte zu jemandem, der in meiner Nähe stand: „Da ist ja Wulff!“ Der schüttelte sich fast vor Lachen: „Wulff hat das
Kennzeichen ‚B – 1’“. Ich dachte, damit hat er Recht, und überlegte, wer denn unserem neuen Präsidenten so ähnlich sieht. Ich bin erst heute nacht darauf gekommen und habe vorher manchmal an meinem Verstand gezweifelt: klar das war ja Pofalla! Merkwürdigerweise interessierte sich der ARD-Fotograf besonders für Hintze. Aber, so dachte ich, der ist doch auch lange weg vom Fenster oder? naja, es blieb nicht viel Zeit zum Nachdenken, es kamen immer wieder neue. Ich stellte mein Plakat möglichst immer ins Blickfeld der Ankommenden. Es kamen noch von den aktuellen Hoffnungsträgern Frau von der Leyen, Herr Röttgen, eine sehr grau wirkende Dame Schavan, der ehemalige Verteidigungsminister Jung – der ja eher auch wieder nicht so aktuell – ob Koch wieder was für den tut, nun bei Bilfinger und Berger? Den Gesundheitsminister hab ich gar nicht gesehen. Sicher hab ich auch noch welche vergessen und natürlich waren da vor allem und in der Überzahl die für mich Namenlosen. Irgendwann aber kam dann auch SIE. Ihr Benz war gar nicht schwarz, sondern grau und ihre Bodyguards waren besonders groß und dick, so dass sie jedenfalls außerhalb ihrer Karosse nicht gezwungen war, einen Blick auf den Text an sie, die „liebe Angela Merkel!“ auf meinem Plakat zu werfen. Da sie aber eher grimmig guckte, nehme ich an, dass sie das Plakat ärgerlicherweise vielleicht schon aus dem Benz heraus gesichtet hatte. Kennen müssten sie es ja eigentlich alle, war es doch ganzseitig und insofern nicht zu übersehen in der Süddeutschen Zeitung gewesen – wenn auch vor langer Zeit!!

Und plötzlich entfuhr es mir: „Da ist ja die Gönner!“ Die ging auch in die Kirche. Erst einige Zeit nach der Kanzlerin tauchte Mappus auf. Er hatte es wegen der Verspätung recht eilig, konnte aber nicht umhin, einen Blick zu riskieren … einer der namenlosen Delegierten hatte mich zuvor angesprochen und gemeint, dass eine politische Demonstration an so einem friedlichen Ort wie einer Kirche doch wohl fehl am Platz und total geschmacklos sei. Dass damals in der DDR bei der sog. friedlichen Demonstration auch eine Kirche in Leipzig eine zentrale Rolle gespielt hat, ist mir da gar nicht eingefallen. Und leider – ein bisschen mehr Selbstkritik muss noch sein! – hatte ich auch vergessen, dass ich doch so eine gute Trillerpfeife in der Tasche habe (Thunderer aus England). Als die Kanzlerin auflief, hätte das bisschen Schwabenstreich doch unbedingt sein müssen, entschuldige, lieber Walter Sittler! – ich bin halt auch ne Schlafmütze manchmal und nicht bloß ein friedlicher, sondern auch ein stiller Demonstrant. Und um noch eins draufzusetzen: zur Ehrenrettung dieser C-Partei muss ich sagen, dass einer der Gottesdienstbesucher, ein älterer Herr, der einen intelligenten Eindruck machte – sorry diesen einen hab ich wirklich gesehen! – dass der anscheinend gern mit mir über Vor- und Nachteile des Stuttgarter Bahnhofs gestritten hätte … hätt ich auch gern gemacht. Und da war sie wieder, meine Idee – das wär doch was gewesen, wenn mich einer von denen gefragt hätte: „Wollen Sie nicht vor uns, dem Plenum des Parteitags, Ihre Ansicht zum Stuttgarter Bahnhof darlegen?“ Seid mir nicht böse, aber das hätte ich gemacht, obwohl ich so etwas noch nie gemacht habe. (Und ich hätte sie dann sogar loben können; denn dann wären sie wenigstens in diesem Punkt – aber sicher nur in diesem – und dazu noch WÄREN – sogar besser gewesen als das Aktionsbündnis, das mir keine Minute Redezeit auf einer Demo zugestanden hat „Die Rednerliste sei voll!“) Ja die Leute, die da in die Kirche gegangen sind, haben auf mich keinen vertrauenerweckenden Eindruck gemacht: sie sahen sowas von alt aus, auch die angeblich jungen! Den ARD-Fotografen hatte ich noch gefragt, ob er mich nicht mal vor der Säule ablichten wolle. Darauf hatte er geantwortet: das ist heute nicht unser Thema – aha!

Als der Spuk im Gotteshaus verschwunden war, bin ich bei nun stärkerem Regen Richtung Rheinstetten mit der Straßenbahn zur CampAct-Aktion für den Kopfbahnhof gefahren und habe in der Bahn vier sehr fitte nette junge Frauen getroffen, die ein Seminar in den Messehallen hatten, eigentlich lieber zur CampAct-Aktion gekommen wären und sich sehr für mein Plakat interessierten. Sie hatten Anti-Atomaufkleber dabei. Die Polizei hatte auf Betreiben der Messeleitung oder des Veranstalters (C-Partei) das Gelände weiträumig abgesperrt. Wir standen auf der andern Seite der B36 (wohl 200 bis 300 m von dem eigentlichen Ort des Geschehens entfernt), so dass nicht davon die Rede sein konnte, dass die CDU in ein tiefes schwarzes Loch hätte blicken können, in dem die Milliarden für den Tunnelbahnhof versenkt wurden – gleichwohl eine wunderbare Aktion der wunderbaren Leute von CampAct, zumal die Masken von Mappus und Merkel so täuschend ähnlich waren. Wir waren auch nur wenige Demonstranten, für das Wetter und die Uhrzeit aber war es trotzdem gut und wir waren gewohnt laut – immerhin den Krach sollten die mit ihren Limousinen ankommenden Parteitagsleute gehört haben. Michael Kaufmann hat einen guten Vortrag gehalten. Eine CampAct-Aktivistin hat sich darüber beklagt, dass es ihr bisher nicht gelungen sei, Mappus die Unterschriften für den Erhalt des Kopfbahnhofs zu überreichen. Sie bekam aber den Tipp von einem Mitdemonstranten, dass Mappus in Mühlacker wohnt und auf jeden Fall dort regelmäßig seinen Neujahrsempfang gibt. Heim. In der S-Bahntraf ich eine recht hartgesottene Prolerin aus Aalen! Naja soll es geben!

3. Tag Dienstag 16.11.
Da hab ich aber den Parteitag eigentlich nicht mehr besucht – gestern hat die wiedergewählte Vorsitzende sicher nach langen Überlegungen oder zumindest denen eines ihrer Vordenker die tiefsinnigen Worte gefunden, die über meinem Bericht stehen – richtig philosophisch, von der Presse bejubelt und mit Emphase vorgetragen. Hört Ihr sie das sagen: „Wir sind wir!“ ja wer denn sonst!!!? wie gut, dass Ihr Ihr seid und nicht wir :-)))) und dann noch: „Wir schaffen das!“ à la Obama „Yes we can!“ – dazu kann ich nur sagen: WIR AUCH!!! aber was anderes!

Trotzdem war ich heute erneut in Karlsruhe. der von mir gestern verwechselte Pofalla, also der Bundespräsident Christian Wulff ist heute zum Antrittsbesuch beim Bundesverfassungsgericht gekommen und auch hier hat CampAct eine wunderbare Aktion durchgeführt: „Wulff, tu’s nicht!“ nämlich begehe keinen Verfassungsbruch, unterschreib den von den Stromkonzernen diktierten Vertrag über die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke NICHT! Und Wulff haben sie auch die inzwischen 113000 Unterschriften überreichen können. Das war ein voller Erfolg und viel Presse war da.